Ein Hotel suchte Bettlektüren für seine Gäste. Eingereicht habe ich, was ich selbst gerne lesen würde. Seicht, pilcherresk und mit Regionalkolorit. Gute Nacht! Träumt schön.
"Es tut mir leid, Frau Schmidt, Ihr Anschlussflug wurde gecancelt. Der Flughafen von Reykjavík wurde wegen eines Schneeturmes geschlossen."
Womit hatte ich das verdient? Der Job war in den letzten Wochen die Hölle. Ich brauchte Urlaub! Außerdem wollte ich endlich einen Punkt von der „Löffelliste“ streichen. Mit vierzig war ich in den berühmten "mittleren Jahren" und es gab noch etliche Dinge auf meinem Lebens-To-Do-Zettel, die erledigt werden mussten, bevor ich den „Löffel abgab“. In Gedanken ging ich kurz die Top Drei der Aufstellung durch. „Mit einem tollen Mann Schokoladeneis essen, Polarlichter sehen, Saxophon lernen.“. Das mit den Polarlichtern sollte sich einfach und gefahrlos umsetzten lassen. Nun hatte mir die Schalterfee eröffnet, dass ich den ersten Tag meines Urlaubes nicht in einer isländischen Winterlandschaft, sondern im Berliner Großstadtdschungel verbringen würde. Leuchtreklame statt Polarlicht. Ich seufzte.
„Der Wetterbericht verspricht Besserung. Wir haben Sie und Ihren Gatten auf den morgigen Flug umgebucht.“ Hatte ich richtig gehört?
„Äh, das mit der Umbuchung können wir schon so machen, aber haben sie mich gerade verheiratet?“ Jetzt guckte Miss Bodenpersonal mindestens genauso dumm wie ich.
„Daniel Schmidt ist nicht ihr Mann?“
„Nein! Der Herr trägt zwar den gleichen Namen, ist aber mitnichten mein Ehemann!“ Plötzlich stellten sich mir die Nackenhaare auf. Da stand jemand viel zu dicht hinter mir.
„Das stimmt leider und ich befürchte, daran wird sich bis zum Abflug auch nichts ändern. Wenn wir uns jetzt kennenlernen, sind wir aber auf einem hervorragenden Weg!“ Ich hatte mich inzwischen umgedreht. Die samtweiche Stimme passte zum Äußeren des attraktiven, dunkelhaarigen Mittvierzigers. Er grinste und zwinkerte mir zu. "Wieder einer dieser Macho-Typen, die nie erwachsen wurden.", dachte ich und hob die Brauen.
"Ihr Angebot ist widerstehlich und Niveau ist keine Creme!" Auf seinen Lippen zeichnete sich ein lautloses »Autsch« ab. Ich drehte mich zurück zum Counter. Die Serviceperle schmachtete den Mann hinter mir unverhohlen an.
"Entschuldigen Sie!" Flug-Barbie erwachte aus ihrem Tagtraum. "Das mit der Umbuchung ist dann ja geklärt. Könnten Sie mir jetzt noch die Anschrift des Hotels mitteilen?"
"Selbstverständlich." Sie schob mir einen Zettel zu. "Es ist ein sehr schönes Haus, in der Nähe vom Ku´damm. Ich hoffe, Sie können den Tag in der Stadt genießen."
"Ich werde es versuchen!“ Entnervt schnappte ich die Reisetasche und verschwand Richtung Taxistand.
Berlin. Mein letzter Besuch war fast 30 Jahre her. Würde ich überhaupt noch etwas wiedererkennen? Der Taxifahrer, ausgestattet mit original Berliner Schnauze, versorgt mich ungefragt mit Tipps. Die Buslinie 100 sei für eine Stadtrundfahrt total knorke. Seinen Hinweis, wo ich mir abends gefahrlos »eenen andudeln« konnte, ohne eine »Pullabrause« angedreht zu bekommen, ignorierte ich, nicht nur aus mangelndem linguistischem Verständnis. Aus der Not eine Tugend machend, entschied ich, zuerst die Tasche im Hotel loszuwerden. Die Fluggesellschaft hatte ganze Arbeit geleistet. Der Portier erwartete mich bereits und würde das Gepäck auf mein Zimmer bringen lassen. Vom Hotel aus startet ich einen Spaziergang Richtung Bahnhof Zoo, wo die Linie 100 abfuhr. Zehn Minuten später hockte ich im Bus und erlebte eines der Geheimnisse, die den besonderen Charme von Berlin ausmachten. Da saß ein Punk neben einem Manager und ein Pater unterhielt sich mit einer verschleierten Muslima. Alle tiefenentspannt oder entsprechend dem Motto von Friedrich dem II »Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.« An der Siegessäule stieg ich aus. Die Aussichtsplattform der »Joldelse« versprach einen schönen Ausblick über die Stadt. 285 Stufen! Auf der Hälfte der Strecke blieb ich kurz stehen, öffnete den Mantel und schnaufte durch.
"Na? In den letzten Wochen den Sportkurs geschwänzt? Darf ich Sie den Rest tragen?" Meinte der Typ mich? Was für ein Idiot. Ich sah über die Schulter.
"Sie?!" Meine Schlagfertigkeit schien Ausgang zu haben.
"Ich kann Sie oben auch gerne wiederbeleben." Dieses schamlose Grinsen. Wut stieg in mir auf. Für eine Reaktion ließ er mir keine Zeit, sondern drückte sich auf der Treppe enger an mir vorbei als nötig. Geschockt sah ich ihm hinterher. Unverschämt! Auf eine weitere Begegnung konnte ich gut verzichten, aber er sollte auch nicht denken, er hätte mich in die Flucht geschlagen. Oben angekommen glühte mein Gesicht, der Schweiß lief mir den Rücken hinunter und ich versuchte, die Atmung zu kontrollieren. Ich war völlig fertig, aber die traumhafte Aussicht entschädigte für die Strapazen. Mein Blick blieb an Herrn Schmidt hängen. Er stand bereits mit der Kamera im Anschlag an der Brüstung. Verwundert, aber angenehm überrascht, sah ich, dass er mit einer alten, analogen Spiegelreflex hantierte.
"Da bin ich!" Ich legte ihm die Hand mit genug Schwung auf den Arm, um dem Foto, dass er gerade schoss, einen ordentlichen Wackler zu verpassen. "Oh, Entschuldigung! Das Bild wird wohl nichts." Mit gespieltem Bedauern lächelte ich ihn an. Bevor er etwas sagen konnte, verließ ich die Plattform.
Ich nahm die nächste „100“ Richtung Brandenburgertor. Beim letzten Mal hatte mir die Mauer noch den Weg versperrt. Heute ging ich einfach durch das Tor. Vom Pariser Platz sah ich Seifenblasen aufsteigen. Eine Horde Kinder umringte einen Straßenkünstler. Egal wie alt Menschen wurden, Seifenblasen faszinieren immer. Ich lächelte andachtsvoll und schaute zu, wie die schillernden Gebilde in den Himmel stiegen. Während ich träumte, schuf der Gaukler eine Riesenblase. Sie schwebte direkt auf mich zu. Plötzlich fühlte ich einen leichten Stoß im Rücken. Er kam so unerwartet, dass ich einen Schritt vorwärts machte, um nicht zu stolpern. Ich berührte ich die Blase. Sie zerplatzte. Ein Schwall Seifenlauge schlug mir ins Gesicht und auf den Mantel. Hinter mir hörte ich prustendes Gelächter.
"Ich dachte, nach der Anstrengung von vorhin bräuchten Sie eine kleine Erfrischung." Schmidt. Schon wieder. Mit verbissenem Gesichtsausdruck drehte ich mich zu ihm.
„Damit sind wir quitt und ich wäre Ihnen zutiefst dankbar, wenn wir weitere Begegnungen vermeiden könnten." Mit der Hand wischte ich mir Seifenlauge aus dem Gesicht und sah meinen Gegenüber böse an. Er lachte nicht mehr. War da Bedauern in seinen Augen? Egal! Wortlos ließ ich ihn stehen. Wie konnte es sein, dass ich in dieser riesigen Stadt immer auf diesen Mann traf? War ich nirgendwo vor ihm sicher? Ein Lächeln fand den Weg auf meine Lippen. Schuhgeschäfte! Ich tauschte Sightseeing gegen Shoppen. Einige Stunden später, saß ich, stolze Besitzerin eines Paars silberner High Heels, im Wintergarten des KaDeWe und genoss ein Glas Sekt bevor ich Richtung Hotel schlenderte.
„Wow, die Fluggesellschaft ließ sich nicht lumpen.“ Das Hotelzimmer war wunderbar. Das Kingsizebett versprach schöne Träume. Nachdem ich mich etwas renoviert hatte, führte ich die neuen Schuhe zum Abendessen aus. Im Hotelrestaurant hatte ich einen Tisch für den Abend reserviert. Das Essen war hervorragend und der vom Kellner empfohlen Wein fast zu gut. Angeschwippst, oder wie mein Taxifahrer gesagt hätte, »angedudelt« kam ich gegen Mitternacht zurück ins Zimmer.
Das Mädchen hatte bereits die Vorhänge zugezogen. Nach dem Lichtschalter tastend, hielt den Atem an. Schnarchte da jemand? Ich drückte den Schalter und die indirekte Beleuchtung tauchte den Raum in sanftes Licht. Ungläubig starrte ich auf den nackten Mann, der quer über der Matratze lag. Füße, Beine, Po, Rücken. Mein Blick wanderte einen attraktiven Körper entlang, der mir gefiel, aber uneingeladen in diesem Bett nichts zu suchen hatte. „Bitte nicht!“, entfuhr es mir, als ein bekanntes Gesicht ins Blickfeld rückte und ich in Augen sah, die belustigt funkelten.
"Frau Schmidt! Ich bin altmodisch. Normalerweise lerne ich die Damen erst näher kennen, bevor sie mich im Schlafzimmer so genießen dürfen.“ Er machte keinen Versuch sich mit dem Laken zu bedecken, sondern deutete mit einer ausschweifenden Handbewegung auf seinen Körper und das riesige Bett. Ich wurde rot.
"Was machen Sie in meinem Schlafzimmer?“, fragte ich hysterisch und versuchte den Blick abzuwenden.
"Ich liege in diesem Bett. Dann ist es wohl eher mein Schlafzimmer.“ Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich musste hier raus. Sofort. Ich flüchtete zur Rezeption, wo ich den Nachtportier zur Rede stellte.
„Es tut mir leid. Die Fluggesellschaft hat uns Herrn und Frau Schmidt avisiert. Wir sind davon ausgegangen, dass es sich um ein Ehepaar handelt.“ Die Situation war ihm sichtlich peinlich. „Ich befürchte, ich wir haben kein freies Zimmer. Es ist ein Journalistenkongress in der Stadt und wir sind ausgebucht.“ Tränen stiegen mir in die Augen. Ich sollte in einem 4-Sterne-Hotel auf Island sein und nicht obdachlos in Berlin.
"Seien Sie unbesorgt.", Herr Schmidt, inzwischen wieder ordentlich bekleidet, stand hinter mir und sah den Portier an. „Sie besorgen uns jetzt eine Flasche Champagner und ich kläre das mit der Dame.“. Bevor ich widersprechen konnte, legte er mir sanft den Finger auf die Lippen. "Bitte!" Sein Blick war so weich wie seine Stimme. "Das Schicksal ist eindeutig der Meinung, dass wir uns näher kennenlernen sollten. Tun wir dem Universum doch den Gefallen. Ich benehme mich auch wie ein Gentleman und schlafe in der Badewanne!“ Er lächelte unwiderstehlich und hob drei Finger zu einem Schwur.
"Der Typ hat es faustdick hinter den Ohren!", ging es mir durch den Kopf. Er musste die Reisetasche im Zimmer gesehen haben und hatte gewusst, was passieren würde. Ich schwieg. Er sah mich liebevoll an, während seine Finger meine Lippen verließen und mir leicht über die Wange strichen. Begann in meinem Magen gerade ein Schmetterling mit Flugversuchen? Ich dachte an den ersten Punkt der Löffelliste.
„Und wir brauchen Schokoladeneis!“, rief ich dem Portier hinterher.
- ENDE -
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